
Wie kann man trotz Distanz Nähe schaffen? Eine Frage, die sich KoordinatorInnen und HospizbegleiterInnen in den vergangenen Corona-Monaten immer wieder stellen. Wie finden wir Wege in eine Begleitung ohne Berührung?
Es gibt nichts Schöneres und Persönlicheres als einem Angehörigen und lieben Mitmenschen intensiv Nähe zu zeigen. Indem man ihn berührt, ihn streichelt, ihm die Hand hält, ihn umarmt. Wenn das, genau wie das persönliche Gespräch „nahe am Ohr“ nicht geht, gilt es, andere Wege zu finden, dem anderen nahe zu sein.
Was uns derzeit – Corona-bedingt – auf den ersten Blick bleibt, ist ein Sich-Sehen auf Distanz, der Kontakt per Telefon oder Videochat. Das kostet Kraft, da es für die meisten von uns nicht das Normale ist im Umgang miteinander. Es fehlt uns auf Dauer ein elementares Gefühl. Deshalb lohnt es sich, genauer darüber nachzudenken, ob und wie ein „Berühren“ über andere Sinne möglich ist. Dem Philosophen Rudolf Steiner zufolge besitzt jeder Mensch zwölf Sinne: Körper‑, Umgebungs- und soziale Sinne. Sie beinhalten alles vom Spüren, Hören, Erleben, Bewegen, Riechen, Sehen, Lesen, Denken, Schmecken, Tagesrhythmus, etc.
Überlegen wir also: Was wird unserem Gegenüber und uns selbst in dieser Situation am Besten gerecht, um Leiden zu lindern? Was tat und tut dem anderen immer schon gut, was mag er? Vielleicht kann ich der an Demenz erkrankten Mutter ein Tuch geben, das einen bekannten Duft trägt, dem Angehörigen ein flauschigwarmes Stück Stoff in die Hand geben, das sich nach Berührung anfühlt, ein kleines Wärmekissen. Wir besorgen ein besonderes Getränk oder Nahrungsmittel. Wir schaffen Nähe über gemeinsame Rituale durch das Anzünden einer Kerze, durch Musik. Im Vordergrund stehen sollte dabei immer: „Was geht noch?“ und nicht „Was geht nicht (mehr)?“.
Die Pflegekräfte tun bereits viel in ihrer täglichen Arbeit, was die Sinne stärkt. Das sollten wir uns bewusst machen. Jedes Mobilisieren, jede Körperpflege, jede Ansprache ist ein „die Sinne berühren“. Das ersetzt nicht die persönliche erlebte Wärme, Liebe, Nähe und Kommunikation, aber es ermutigt, dass nicht „nichts“ ist. In der Hoffnung auf ein baldiges „Mehr“.
Es ist sehr wichtig, dass BegleiterInnen und Pflegepersonal auch für sich selbst sorgen, um die eigenen Kräfte zu stärken. Sie sollen sich Gutes tun und achtsam mit jeder Situation umgehen. Es sind oft nur Kleinigkeiten. Aber je gefestigter, klarer und ausgeruhter man selbst ist, umso besser kann man sich einer schwierigen Situation stellen und widmen und ein besseres Gespür für den anderen entwickeln. Dazu gehört auch, sich selbst und den Begleiteten einzugestehen, dass die distanzierte Situation gerade schmerzt.
Barbara Kollross