Unser langjähriger Hospizbegleiter sowie ehemaliger 2. Vorsitzende Richard Bechinger hat bei einem Artikel der Wochenzeitung “die Zeit” mitgewirkt. Wir wollen einen Teil des Artikel hier abbilden, da es er auch indirekt mit der Hospizarbeit zu tun hat.
“Es schmerzt, dass da keine Enkel sind, denen ich Liebe geben kann”
Wie ist es, wenn man Kinder aufzogen hat, diese aber selbst kinderlos bleiben? Drei ältere Menschen erzählen, wie sie mit ihrer Enkellosigkeit umgehen.
Richard Bechinger, 80 Jahre alt
Mit gerade einmal 20 Jahren bin ich Vater geworden. Und ich war ein sehr stolzer Vater, ich fand es toll, so jung zu sein und schon ein Kind zu haben. Als meine Tochter klein war, malte ich mir schon aus, wie es als Opa sein würde: Wenn sie auch jung ein Kind bekommt, dachte ich, dann kannst du mit Anfang 40 mit deinem Enkelkind zum historischen Karussell am Chinesischen Turm im Englischen Garten gehen. Das ist für Münchner wie mich ein besonderer Ort. Dann werden die Leute sagen: “Geh zum Vati”, und ich werde sagen: “Ich bin der Opa!” Schon ganz früh habe ich mir das so ausgemalt. Das war das Ziel.
Nun, es ist anders gekommen. Meine Tochter blieb unser einziges Kind. Und sie selbst bekam keine Kinder. Sie ging nach Berlin zum Studieren, und später, da war sie vielleicht 30, saß sie mal bei uns zu Hause am Tisch und sagte: “Ich begegne immer nur BES-Männern.” Ich fragte, was sind denn BES-Männer? Und sie sagte: “Na, besetzt oder beschissen.” Manchmal habe ich sie wohl auch gefragt: “Na, wie sieht es denn bei dir aus mit Kindern?” Aber meine Frau hat mir gesagt, du, das darfst du sie nicht fragen, sie hat das sicher nicht gern. Da habe ich es gelassen. Später hat sie doch noch einen tollen Südtiroler Mann gefunden, die beiden wohnen in Italien. Ich bin sehr stolz auf sie.
Mein Leben ist sehr gut so, wie es ist. Wir sind zufrieden. Wenn du morgens aufstehst und siehst, die Arme bewegen sich noch, die Beine auch, und vielleicht lächelt dich noch jemand an – was will man mehr? Meine Frau hat sieben Geschwister, da gibt es viele Großnichten und ‑neffen. Es ist also nicht so, dass wir keinen Kontakt zu Kindern haben. Wenn ich Freundinnen und Freunde sehe, die Großeltern geworden sind, sehe ich auch manchmal, wie hilflos diese Rolle machen kann. Die Eltern des Kindes trennen sich, und du bist als Oma oder Opa nur unbeteiligter Zuschauer. Vielleicht blieb uns also auch manches Leid erspart.
Und dass ich keine Enkel habe, heißt nicht, dass ich mich im Alter nicht um andere kümmere. 50 Jahre lang habe ich als Friseur gearbeitet. Gegen Ende meines Arbeitslebens hörte ich mal im Radio, dass in Landshut ein Hospiz eröffnen würde, und dass Leute gesucht wurden, die die Sterbenden begleiten. Da dachte ich: Zuhören, das kannst du, das hast du Jahrzehnte gemacht als Friseur. Seit 20 Jahren mache ich die Sterbebegleitungen nun. Ich lese den Leuten vor, ich erinnere mich mit ihnen an ihre Kindheit. Manchmal wollen sie gern Kinderlieder hören. Da denke ich: Das Alter ist ein anderes, aber die Fähigkeiten, das Kümmern um sie ist dasselbe wie bei Enkeln. Da ist ein Mensch, der braucht dich, der ist dankbar, dass du dich mit ihm beschäftigst. Je älter ich werde, desto mehr regen mich die Geschichten und die Erinnerungen der Leute auch zum eigenen Reflektieren an: Wie war das damals bei mir? Ich glaube, als Opa, im Umgang mit Enkeln, erkennt man sich selbst als Menschen, man wird aufs Wesentliche zurückgeführt. Das Gleiche passiert, wenn ich mit den Sterbenden bin und mich ihnen zuwende.
Was es meiner Meinung nach vor allem fürs Alter braucht, ist eine sinnstiftende Aufgabe. Sicher, man kann Reisen, man kann sich an seinem Wohlstand erfreuen. Aber der wirkliche Sinn liegt woanders, im Kümmern um andere, in Beziehungen. Und das kann man auch ohne Enkel.
Carla Baum
Ressortleiterin Familie
Vielen Dank an die Zeit für die Genehmigung zum Abdrucken des Textes.